Die alte Regel “Über Geld spricht man nicht” verliert hierzulande zunehmend an Zuspruch. Zumindest, wenn es ums Gehalt geht. Während 2018 in einer Umfrage noch 40 Prozent der Befragten angeben haben, mit Kollegen nicht über ihr Gehalt zu sprechen, sind es laut einer Umfrage von 2023 aktuell nur noch 26 Prozent. Zu dieser Entwicklung hin zu mehr Offenheit passt die EU-Richtlinie zu Entgelttransparenz, die europaweit bis spätestens Juni 2026 umgesetzt werden muss.
Das aktuell in Deutschland gültige Entgelttransparenzgesetz ist eine mit vielen Auflagen und Ausnahmen gespickte Regelung, die kaum in Anspruch genommen wird. Wohl auch, weil die Beweislast für den Nachweis von Gehaltsungerechtigkeiten bei den Beschäftigten liegt.
Das wird sich mit der neuen EU-Regelung ändern. Nach dem neuen Gesetz liegt die Nachweispflicht bei den Arbeitgebern, die belegen müssen, dass ihre Gehälter gerecht sind. Außerdem haben ab Sommer 2026 Beschäftigte bereits in Bewerbungsprozessen das Recht auf Informationen zu den gezahlten Gehältern in einem Unternehmen.
Gehaltstransparenz ist für viele Unternehmen ein Reizthema und von Seiten der Wirtschaft gibt es Vorbehalte gegenüber einer gesetzlich geregelten Entgelttransparenz. Aber woher kommen diese Bedenken? Gewiss, es wird Arbeit machen und damit auch Kosten verursachen, für die unterschiedlichen Tätigkeiten in einem Unternehmen eine Gehaltsmatrix zu entwickeln, die nachvollziehbar, skalierbar und auch noch möglichst gerecht ist. Ehrlicherweise sollten sich aber Arbeitgeber fragen, die hier noch viel Arbeit vor sich haben, warum es in ihrem Unternehmen bislang kein belastbares System gibt, das den Wert von Arbeit nachvollziehbar zu festlegt.
In der Debatte gibt es verschiedene Argumente, die gegen Gehaltstransparenz ins Feld geführt werden. Dazu gehört die Befürchtung, dass Neid unter den Beschäftigten entsteht und sich die Stimmung und Arbeitsmoral im Betrieb verschlechtern, wenn durch Gehaltstransparenz Lohngefälle im Unternehmen öffentlich werden. Neid entsteht allerdings in erster Linie durch Ungerechtigkeit. Wenn das Lohngefälle tatsächlich unfair ist und gleiche Arbeit ungleich bezahlt wird, gehört es ohnehin beseitigt. Wenn ein Arbeitgeber dagegen transparent belegen kann, wie sich unterschiedlich hohe Gehälter zusammensetzen – durch Parameter wie Qualifikation, Erfahrung, Verantwortung u.ä. – kann das für Beschäftigte sogar ein Anreiz sein, sich weiterzubilden oder sich anderweitig für die nächste Gehaltsstufe zu qualifizieren.
Die Befürchtung von Unternehmen, dass Gehaltstransparenz in Stellenanzeigen für bessere Vergleichsmöglichkeiten und eine höhere Konkurrenzsituation unter Arbeitgebern sorgen, ist in Zeiten von Online-Gehaltsvergleichen und Arbeitgeberbewertungsportalen überholt. In der Anonymität des Internets geben so viele Beschäftigte offen Auskunft über ihr Gehalt, dass sich Wechselwillige auch jetzt schon Informationen holen können. Dass Beschäftigte im Unternehmen bleiben, weil sie nichts Besseres finden, passiert immer seltener.
Die Bedenken der Unternehmen gegen Gehaltstransparenz stammen noch aus den Zeiten eines Arbeitgebermarktes, in denen die Unternehmen die Regeln diktieren konnten und es deutlich mehr Bewerber als Stellen gab. Inzwischen sind es die Unternehmen, die sich bei den Kandidaten bewerbe. Und die zeigen müssen, was sie zu bieten haben und warum sich Kandidaten ausgerechnet für sie und nicht für die Konkurrenz entscheiden sollen.
Umfragen belegen, dass sich die große Mehrheit der Kandidaten eher auf Stellen bewerben, die Angaben zum Gehalt machen. Zudem verbessern offene Angaben zum Gehalt das Bild vom potenziellen Arbeitgeber - Fairness ist für viele Beschäftigte ein wichtiger Gradmesser für Zufriedenheit mit ihrem Arbeitgeber. Gehaltstransparenz kann also ganz klar als eine effektive Employer Branding Maßnahme gewertet und entsprechend genutzt werden.
Was auch bedeutet, dass Arbeitgeber, die schon vor der gesetzlichen Frist für die Umsetzung der EU-Richtlinie ihre Hausaufgaben machen und sich dafür entscheiden, mit den Gehaltsstrukturen in ihrem Unternehmen transparent umzugehen, einen klaren Vorsprung beim Wettbewerb um Fachkräfte haben.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Andreas Schnittker.
Andreas Schnittker kombiniert Marketing und PR mit Active Sourcing. Der Geschäftsführer der MindChange GmbH positioniert auf diese Weise seine Kunden nicht nur als Employer of Choice, sondern spricht bei Bedarf auch gezielt die richtigen Talente direkt mit an.